BGH zu FCC-Klage: Alles bleibt beim Alten

Pressemitteilung der Blau-Gelb-Weißen Hilfe e.V.

Am Vormittag des 04.11. hat der Bundesgerichtshof (kurz: BGH) in Karlsruhe ein von vielen Fans und Vereinen der Bundesrepublik lange erwartetes Urteil gesprochen. Es besagt, dass der Deutsche Fußball-Bund (kurz: DFB) weiterhin Vereine für „Fehlverhalten“ ihrer Anhänger*innen zur Rechenschaft ziehen und beispielsweise Geldstrafen verhängen darf. Der BGH begründet sein Urteil damit, dass durch diese Praxis keine elementaren Grundsätze der Rechtsordnung verletzt würden. Die vom DFB ausgesprochenen Strafen seien dabei als „reine Präventivmaßnahmen“ zu bewerten, und genau dies sei auch ohne ein direktes Verschulden der Vereine zulässig. Zusammengefasst bleibt also alles beim Alten und es ändert sich exakt gar nichts. Kollektivstrafen bleiben bestehen, der FC Carl Zeiss Jena (kurz: FCC) muss 24.900 Euro Strafe an den DFB zahlen für „Fehlverhalten“ seiner Fans am 19. August 2018 beim DFB-Pokalspiel gegen Union Berlin.

Was bedeutet das nun konkret? Der Dachverband der Fanhilfen Deutschlands kritisiert beispielsweise, dass das Urteil völlig außer Acht lasse, dass der BGH damit die „unverhältnismäßige Weitergabe der Verbandsstrafen auf einzelne Fußballfans“ billige, was nicht nachvollziehbar sei. „Gerade die oftmals jungen Fans werden dadurch doppelt bestraft, da einzelne Personen in der Regel nach solchen Vorfällen strafrechtlich verfolgt werden. Hinzu kommen nun die erwarteten Umlagen dieser Kollektivstrafen auf die aktiven Fanszenen. Diese Zustände sind eines Rechtsstaats unwürdig und hätten dringend vom BGH korrigiert werden müssen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Dachverbands. Im schlimmsten Fall kann eine Person also auch weiterhin vom DFB und vom Staat für das gleiche „Fehlverhalten“ belangt werden und wird dementsprechend doppelt bestraft.

Die Blau-Gelb-Weiße Hilfe (kurz: BGWH) lehnt das Aussprechen von Kollektivstrafen durch den DFB entschieden ab. Wir wollen dabei nicht die Augen davor verschließen, dass der FC Carl Zeiss Jena (genauer in diesem Fall: die FC Carl Zeiss Jena Spielbetriebs-GmbH) die Statuten des DFB unterschrieben und damit in die Sportgerichtsbarkeit eingewilligt hat. Diese Sichtweise allein greift aber viel zu kurz. Wir sehen dringenden Handlungsbedarf und wünschen uns endlich eine Klärung der Causa „Kollektivstrafen“ im Sinne des Fußballs und seiner Fans. Das vom BGH gesprochene Urteil tut dies nämlich explizit nicht, sondern festigt den Status Quo und damit die Gräben zwischen Fans und Verband.

Warum wir dies so sehen, sollen die folgenden Stichpunkte kurz erklären.

1.) Den Begriff „Fehlverhalten“ haben wir in diesem Artikel bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil wir der Meinung sind, dass dieser Begriff einheitlich definiert werden muss. Denn: Fans und DFB interpretieren „Fehlverhalten“ völlig unterschiedlich. Wir als BGWH sehen den verantwortungsbewussten Umgang mit Pyrotechnik – und genau hierfür wurde der FCC bestraft –anders als der DFB explizit nicht als „Fehlverhalten“ an. Wir wissen, dass es vielen Fans ähnlich geht, obwohl die Rechtsnorm aktuell noch etwas anderes vorgibt. Aber: Rechtsnormen und Gesetze sind veränderbar und daran sollte gemeinsam gearbeitet werden. Im konkreten vor dem BGH verhandelten Fall wurde aus Sicht der BGWH eine Strafe ausgesprochen für etwas, was die „Verursacher*innen“ gar nicht als strafbar erachten. Dementsprechend wachsen berechtigterweise die Abneigung und das Unverständnis aufseiten der Fans gegenüber dem Verband und der Rechtsprechung. Dieser Punkt muss dringend im Sinne der Fans gelöst werden! Verantwortungsbewusster Umgang mit Pyrotechnik war, ist und bleibt kein Verbrechen. Nicht beim FCC und nicht bei anderen Vereinen.

2.) Dem BGH widersprechen wir in dem Punkt, dass vom DFB ausgesprochene Strafen „reine Präventivmaßnahmen“ seien. Anders ausgedrückt: Das ist totaler Käse. Keine Geldstrafe hat bisher Fanszenen davon abgehalten, im Stadion Pyrotechnik zu zünden und wird dies auch weiterhin nicht. Ja, manche vom DFB verhängten Strafen müssen von den Vereinen „zweckgebunden“ für sogenannte Präventivmaßnahmen genutzt werden, allerdings bei Weitem nicht immer und nicht überall. Oft sind die Strafen direkt an den DFB zu zahlen und was mit dem Geld passiert, ist völlig offen. Wir verweisen dabei an dieser Stelle gerne auf die Ermittlungen der Steuerbehörden gegen den DFB und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für das Jahr 2006 sowie ausstehenden Ermittlungen für die Jahre 2015 bis 2020. Wieso nun also ausgerechnet das Zahlen von Strafen an einen Verband, dem der Entzug der Gemeinnützigkeit droht, „präventiv“ sein soll, erschließt sich uns nicht. In unseren Augen macht der DFB keine Präventivarbeit und glänzt eher mit populistischen, wenig nachhaltigen Maßnahmen oder Aktionen sowie Steuervergehen.

3.) Das Aussprechen von Kollektivstrafen ist nicht nur im Rahmen von Pyrotechnik abzulehnen, sondern auch, wenn im Stadion Protest geäußert wird. Die BGWH erinnert dabei gerne an die Proteste zu Beginn des Jahres 2020, als Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp berechtigte Kritik vonseiten der Fanszenen über sich ergehen lassen musste. Wiederholt hatte der DFB Vereine für das Zeigen von Spruchbändern sanktioniert, in Jena wurde gar das Spiel gegen 1860 München unterbrochen und stand kurz vor dem Abbruch. In diesem Sinne bedeutet „präventiv“ dann wohl das Unterdrücken unliebsamer Meinungen zum Fußballsport? Vielleicht sollte der BGH nochmal die Begriffsbedeutungen von „präventiv“ und „repressiv“ gegenüberstellen und überprüfen, ob er sich nicht in der Verwendung der jeweiligen Worte vertan hat.

4.) Wieso braucht es überhaupt eine übergeordnete Instanz wie den DFB, um Kollektivstrafen auszusprechen? Wenn beispielsweise rassistische Äußerungen von Fans vom DFB sanktioniert werden, mag dies zwar ein symbolisches Zeichen sein, es löst aber die Probleme an den jeweiligen Standorten nicht, sondern festigt Vorurteile und Ablehnung. Viel eher sollten die Vereine, lokale soziale Institutionen und nicht zuletzt die Fans darin gestärkt werden, im Stadion ihre Arbeit zu machen und miteinander ins Gespräch zu kommen sowie „Fehlverhalten“ zu diskutieren. Dies ist die Aufgabe lokaler Institutionen und ausdrücklich nicht die von alten weißen Männern in Frankfurt am Main! Das Aussprechen von Kollektivstrafen gegenüber Vereinen, welche im schlimmsten Fall Strafen auf Einzelpersonen umlegen, fördert nur eine Spaltung von Vereinen und Fans. Das kann nicht im Sinne der Vereine sein.

Die BGWH wünscht sich, dass die Vereine deutschlandweit und unabhängig ihrer Ligazugehörigkeit mit ihren Fans ins Gespräch kommen und die Bedeutung dieses Urteils diskutieren. Nur gemeinsam kann eine Lösung in Bezug auf „Kollektivstrafen“ gefunden werden, nie aber auf die Art und Weise, wie sie der DFB vorgibt: durch Draufhauen und Bestrafen.

An die Fanszenen der Bundesrepublik richten wir folgende Worte: Bitte bedenkt bei euren Diskussionen und Entscheidungen immer, dass nicht alle Vereine finanziell auf Rosen gebettet sind und es, rein rational und finanziell betrachtet, durchaus einen Unterschied macht, ob Borussia Dortmund mit 25.000 Euro bestraft wird oder eben unser FCC. Gerade für kleine Vereine sind Geldstrafen kein Pappenstiel. Dahingehend brauchen gerade die Vereine unterhalb der finanziellen Fleischtöpfe Unterstützung von „oben“. Nicht umsonst hat unser FCC diese Klage bis zum bitteren Ende durchgezogen. Wir wollen damit keineswegs ausdrücken, dass eine Strafe für beispielsweise Borussia Dortmund weniger schlimm ist als für den FCC – beides ist absolut beschissen! Wir erhoffen uns aber gerade von den großen Playern Unterstützung, da deren Wort eben gerade aus der finanziellen Perspektive großes Gewicht hat.

Bedanken möchten wir uns beim FC Carl Zeiss Jena für den Mut, als kleiner Regionalliga-Klub diese Klage und das Verfahren zu führen. Das ist nicht selbstverständlich und eigentlich auch ein Armutszeugnis für die restlichen Vereine der Bundesrepublik, gerade in höheren Ligen, welche dazu bisher nicht bereit waren, obwohl ihre Fanszenen im Sinne der Solidarität mit dem FCC immer wieder darauf gedrängt und um Unterstützung gebeten haben. Offensichtlich war hier die Angst der Vereinsgremien vor dem DFB unberechtigterweise zu groß.

Allen Fanszenen der Bundesrepublik und dem Dachverband der Fanhilfen Deutschlands danken wir ausdrücklich für ihre Unterstützung und für das Aufarbeiten der Thematik. Wir sind uns sicher, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist und es sich lohnen wird, für Fanrechte einzutreten.

Blau-Gelb-Weiße Hilfe e.V. | 04. November 2021