Statement zur Forschungsfrage von Racial Profiling
Es gibt unzählige Forschungsvorhaben. Und beinahe jede Forschungsfrage ist in einem bestimmten Bereich relevant. Trotzdem können nicht alle Studien finanziert oder umgesetzt werden. Gründe mag das viele haben: vorrangige Forschungsfragen, bereits bestehende, vergleichbare Studienergebnisse, schwerer Zugang zu potentiellen Teilnehmer*innen, geringer zu erwartender Erkenntnisgewinn, hoher Aufwand verbunden mit immensen Kosten und so weiter und so fort. Ein Forschungsvorhaben allerdings abzusagen, weil ihm die Sinnhaftigkeit unter unqualifizierten Behauptungen abgesprochen wird, ist unsachlich, peinlich und unserer Demokratie nicht würdig.
Was bisher geschah: Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat im März dieses Jahres ihren Bericht über Deutschland veröffentlicht. Seit 1998 sind bisher sechs dieser länderspezifischen Beurteilungen und Empfehlungen für Deutschland erschienen. Die ECRI ist eine unabhängige Kommission des Europarates und besteht aus 47 Menschenrechtsexpert*innen aus allen Mitgliedsstaaten der EU. Im aktuellen Bericht wird zum Thema Racial Profiling folgende Einschätzung getroffen:
(Im Folgenden haben wir die wesentlichen Inhalte des Berichtes herausgezogen, von denen wir glauben, dass diese sich Politiker*innen zu Gemüte führen sollten, bevor sie ein Statement abgeben oder eine Entscheidung treffen.)
- „In seinem Bericht 2015 über Deutschland zeigte sich der Menschenrechtskommissar des Europarats besorgt über das rassistisch motivierte Verhalten von Strafverfolgungsbehörden und zahlreichen Berichten über Racial Profiling, das von der Polizei praktiziert werde. 2017 kam die Expertengruppe der Vereinten Nationen zu Menschen afrikanischer Abstammung zu dem Schluss, dass Racial Profiling unter deutschen Polizeikräften weit verbreitet sei.“
- Die ECRI „(…) zeigt sie sich besorgt über die Tatsache, dass § 23 Bundespolizeigesetz (BPolG) Polizeikräften die Befugnis gibt, Personen ohne jeden Verdacht auf eine Straftat oder ein Vergehen oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit einer Identitätsfeststellung unterziehen dürfen.“
- „Die Empfehlung in Ziffer 3 von ECRI GPR Nr. 11 spiegelt die Rechtsprechung des Gerichtshofs wider, der feststellte, das Anhalten und Durchsuchen einer Person an einem öffentlichen Ort ohne begründeten Verdacht eines Fehlverhaltens stelle eine Verletzung von Artikel 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) dar.“
- „Die Zivilgesellschaft hat ECRI informiert, zahlreiche Polizeidienste und -vertreter seien sich des Racial Profiling nicht bewusst oder würden dieses leugnen. (…) Darüber hinaus sind die meisten Behörden, die mit Ermittlungen mutmaßlicher Fälle von Rassendiskriminierung, einschließlich Racial Profiling und rassistisch motiviertem Fehlverhalten der Polizei, betraut seien, nicht unabhängig, entgegen der Empfehlung (…).“
Abschließend heißt es in Bezug auf die Forderung einer Studie:
- „ECRI ist der Meinung, die Behörden des Bundes und der Bundesländer sollten die Frage des Racial Profiling auf systematische Weise untersuchen und bearbeiten. Sie ruft die Behörden auf, eine Studie durchzuführen, die die aktuelle Überprüfungspraxis analysiert und zu Empfehlungen führt, die nachhaltig Racial Profiling verhindert und die Zahl der unbegründeten Polizeikontrollen reduziert (…). Die Studie und ihre Empfehlungen sollten genutzt werden, um die Wirksamkeit der hohen Zahl von durchgeführten Kontrollen mit geringer „Erfolgsquote“ und schlechten Ergebnissen zu prüfen, das Bewusstsein von Polizeikräften für Racial Profiling und dessen negative Folgen auf das Vertrauen der betroffenen Gruppen in die Polizei zu schärfenund diese Form des institutionellen Rassismus zu verhindern und zu beenden.“
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat nun kürzlich seine Absage an die notwendige Studie über einen Sprecher verlauten lassen: „Weder die Polizeigesetze des Bundes noch einschlägige Vorschriften und Erlasse erlauben eine solche Ungleichbehandlung von Personen.“
Dass diese Praxis trotz Verbot weiter umgesetzt wird, verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf umso mehr. Seehofer zieht allerdings scheinbar einen entgegengesetzten Schluss. Was nicht sein darf, ist nicht.
Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie sich selbst bei intelligenten Menschen mit jahrzehntelanger politischer Erfahrung das sachliche Denken ausschaltet, sobald es um die Institution Polizei geht. Stattdessen verharmlosen, bagatellisieren oder, wie in diesem Fall, negieren sie polizeiliches Fehlverhalten; als wären Polizist*innen Menschen ohne Fehler und die Institution Polizei vor allen strukturellen Missständen (im Gegensatz zu „normalen“ Unternehmen, Gremien, Organisationen usw.) bewahrt. In erster Linie bedeutet dieses Verhalten Hohn für die Betroffenen. Darüber hinaus führt es aber auch dazu, dass ein sachlicher, konstruktiver Umgang mit der Problematik und damit eine Verbesserung der Zustände ausbleibt oder zumindest gravierend verzögert wird. Wenn dann sogar einem den Europarat beratenden Expert*innengremium und seinen fachlichen Empfehlungen lapidar und beiläufig geringschätzig begegnet wird, sind die Aussichten düster.
Nachdem in Thüringen die Frage zu einer Studie über Polizeigewalt im Bundesland aufkam, haben wir uns in einem vorhergehenden Statement bereits dazu positioniert. Darin beschäftigte uns auch die Frage, inwiefern eine unabhängige Studie unter Federführung von Polizist*innen überhaupt realisierbar sei. Wir kamen zu dem Schluss, dass die notwendige Neutralität in einem Forschungsprojekt über die eigene Berufsgruppe nicht gegeben sein kann, wenn Polizist*innen an der Studie mitarbeiten würden.
Seehofers Entschluss in Bezug auf die Studie zu Racial Profiling unterstreicht, wie schwer es der Politik fällt, einen neutralen Blick auf die Polizei zu wahren. Statt aktiv an der Verbesserung polizeilicher Strukturen mitzuwirken, wird scheinbar eher probiert, oberflächlich und wenig nachhaltig dem (möglicherweise berechtigtem?) Imageverlust der Polizei entgegenzuwirken.
Wir wünschen uns von Polizei selbst, seitens der Politik, aber auch von allen Bürger*innen, sich differenziert und kritisch mit den Aufgaben, Befugnissen, deren Umsetzung und Erwartungen an die Polizei auseinanderzusetzen. Denn für die nicht gegebenen Konsequenzen einer einseitig schönenden Beurteilung tragen alle Verantwortung.
Blau-Gelb-Weiße Hilfe | 08. Juli 2020