Sicherheits-Farce im Stadion: In Deutschland nichts Neues

Fast eine Stunde dauerte am 20. Januar 2024 die Halbzeitpause des Bundesliga-Spiels zwischen dem VfL Bochum und dem VfB Stuttgart. Die Begründung hierfür lautete, dass die Zaunfahne des Commando Cannstatt, der führenden Ultrasgruppe des VfB Stuttgart, Fluchttore überhängen würde, sodass diese versperrt seien. Schnell ließ sich nachweisen, dass dies nicht der Fall war – Fernsehbilder und die Aussagen diverser Personen, bspw. der örtlichen Feuerwehr, belegen dies. Warum also wurde darum so eine große Welle gemacht?

Die Stoßrichtung, in die dabei vonseiten der Verbände und der Sicherheitsbehörden gegangen werden soll, ist klar: Fußballfans, vor allem die „aktiven“ unter ihnen, sind ein Sicherheitsrisiko. Sie zünden Pyrotechnik, sie verstoßen gegen geltende Rechtsnormen, sie versperren Fluchttore durch ihre Zaunfahnen. Egal, wie man es dreht und wendet: Fußballfans sind schuld an allem, das in den Stadien nicht so läuft, wie es aus Sicht der Verbands- und Sicherheits-Oberen sollte. Dieses Vorurteil bestätigte just auch die Innenminister-Konferenz, die anprangerte, dass manche ins Fußballbusiness in Deutschland involvierte Parteien Fans mittlerweile als „Gesprächspartner auf Augenhöhe“ wahrnähmen, obwohl diese zuletzt doch nur noch gewalttätiger und mit brennender Pyrotechnik brandschatzend durch die Lande ziehen würden. Wie kann man nur? Die Deutungshoheit über die Sicherheit dürfe ausschließlich beim Staat, bei der Polizei liegen.

Nun wissen alle, die in irgendeiner Form ins Stadion gehen, dass es – entgegen der Meinung der Innenminister-Konferenz und der hysterischen Berichterstattung über die sich problemlos öffnenden Fluchttore – in den Stadien der Bundesrepublik absolut sicher ist. Und es ist leidlich, diese Diskussionen immer wieder aufs Neue führen zu müssen. Vieles mutet in Deutschland gerade an wie im Jahre 2006, als die Fußballweltmeisterschaft kurz bevorstand. Auch damals waren die Fans ein Sicherheitsrisiko. Auch damals fuhren Sicherheitsbehörden, Medien und Verbände jegliche sich bietende Geschütze auf, um Fußballfans zu diskreditieren und mit Repressalien zu unterdrücken. Auch damals wurde ein scheinbares Problem kreiert, welches es gar nicht gab. Geschichte wiederholt sich.

Zurück zu den Fluchttoren im Bochumer Ruhrstadion. Obwohl die Zaunfahnen über ihnen hingen, gingen sie auf. Alle sahen es. Warum also so einen Film schieben, um es mit den Worten des Stuttgarter Stürmers Deniz Undav zu sagen. In Jena kennen wir die angebliche Fluchtweg-Problematik nur zu gut. Im Jahr 2015 erhielten die Stufen der Südkurve mehrfach einen schicken blau-gelb-weißen Anstrich. Vonseiten der Stadt Jena wurde argumentiert, das könne nicht so bleiben, man sähe die Fluchtwege nicht, wenn man in der Kurve stehe. Ein schlichtweg gelogenes Argument: Im Block sah man die Fluchtwege problemlos, denn es waren nur die Vorderseiten der Stufen bemalt worden, nicht aber die Trittflächen an sich. Selbst Artikel lokaler Zeitungen bestätigten dies. Dennoch musste die Farbe weichen, schließlich kann man sich von offizieller Seite bei einem solchen Thema keine Blöße geben.

2015 mag nun schon in etwas fernerer Vergangenheit liegen, der 25. August 2023 indes ist relativ frisch. An diesem Tag gastierte der FC Carl Zeiss Jena beim BFC Dynamo im Sportforum Hohenschönhausen. Auch hier störte sich der Gastgeber an einem angeblich zugehangenen Fluchttor. Auch hier ließ sich das entsprechende Tor problemlos öffnen, denn das „ordnungsgemäße Funktionieren“ des Tores war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Anders als in Bochum reichte dies den Gastgebern aber nicht, sie ließen den gesamten Gästeblock von behelmter Polizei umstellen und eine Drohkulisse gegenüber den Fans aufbauen. Wohlgemerkt: Es bestand zu keinem Zeitpunkt irgendein Sicherheitsrisiko durch die Fans. Hier wurde definitiv ein künstliches Risiko durch den gastgebenden Verein und die Sicherheitsbehörden geschaffen, welches nie ohne sie existiert hätte. Grotesk, dass die Situation durch die Besonnenheit der FCC-Fans, nicht aber durch die Besonnenheit der angeblichen „Sicherheits-Organe“ gelöst wurde.

Fußballfans sind durchaus in der Lage, in schwierigen Situationen schnell zu handeln, sodass denen geholfen werden kann, die in Gefahr sind. Ein Paradebeispiel dafür ist das Spiel zwischen dem FC St. Pauli und Holstein Kiel aus dem vergangenen September. Ein Kieler Fan erlitt im Gästeblock einen Herzinfarkt. Sofort kümmerten sich Umstehende darum, Notfallsanitäter:innen herbeizuholen, machten die Fans diesen sofort Platz, damit die Behandlung beginnen konnte. Um die zu behandelnde Person vor ungewollten Einblicken und Fotos zu schützen, breiteten Fans große Schwenkfahnen über der Notsituation aus. Die Unterstützung des Teams wurde eingestellt, die Heimfans des FC St. Pauli zogen sofort nach, nachdem sie über die Vorgänge im Gästeblock informiert wurden. Und alles funktionierte ganz ohne Polizei, ganz ohne Diskussion um Fluchttore, ganz ohne Einfluss von außen. Fußballfans sind in der Lage, sich selbst zu helfen – mal schauen, wann diese Erkenntnis auch in Sicherheitskreisen ankommt.

Wir freuen uns daher, dass es den Fans des VfB Stuttgart gelungen ist, standhaft zu bleiben und die gesamte Situation um angeblich versperrte Fluchttore ad absurdum zu führen. 60 Minuten Spielunterbrechung für eine Farce sondergleichen, ausgelöst durch Sicherheitshysteriker:innen und „Ordnungsbehörden“. Und nein, Herr Sebastian Hoeneß (Trainer des VfB Stuttgart), hier geben nicht „beide Seiten eine schlechte Figur ab“, sondern nur eine: die derer, die die Stadien angeblich „sicher“ machen sollen.

Glückwünsch VfB-Fans zu diesem Sieg!

Blau-Gelb-Weiße Hilfe e.V., 21. Januar 2024